Mit einem Blick auf die viele Arbeit, die vor und hinter ihm liegt, sagte neulich jemand zu mir „Wir haben zu viel Leben für so wenig Zeit.“. Ein Satz, der für sich alleine stehen kann und ohne Probleme jeglichen Umfang an Wahnsinn beschreibt, der mit der Zeit und fortschreitendem Lebensalter auf jeden zurollt, der versucht so viel wie möglich aus seinem Leben zu machen.
So gesehen war mein Treffen mit Fabian Wu-Mittermayr ein erfrischender Schritt zur Seite, raus aus diesem täglichen Strom an Verantwortungen, der einen oft daran hindert auf das Wesentliche zu blicken. Denn Fabian geht noch zur Schule und ist ansonsten ein ganz normaler Jugendlicher, ganz davon abgesehen, dass er wunderbar auf der Violine spielt. Er mag wohl ähnliche Dinge, wie seine Klassenkameraden und reagiert auf meine manchmal philosophischen Fragen genauso mit Unverständnis – das jedoch sehr höflich – wie es andere in seinem Alter tun würden.
Und so komme ich im Laufe unseres Gesprächs immer mehr dazu über mich selbst nachzudenken. Jede Frage, die ich Fabian stelle, stelle ich im Geiste auch meinem jüngeren Ich und versuche zu ersinnen, wie ich in seinem Alter wohl geantwortet hätte. Abseits aller Unterschiede zwischen uns zwei wären unsere Antworten ganz ähnlich ausgefallen. Ich hätte wahrscheinlich nur deutlich weniger gewußt, was eines Tages mal aus mir werden soll. Oder ich hätte nur noch deutlicher das nachgeplappert, was mir die Erwachsenenwelt als erstrebenswert beigebracht hatte.
Die Möglichkeiten vor uns
Wir sind im Marmorsaal des Stift Klosterneuburg, einem Ort an dem ich Fabian erst einige Wochen zuvor im Rahmen einer Veranstaltung wahrgenommen hatte. Damals war der Raum bis zum letzten Platz gefüllt. Menschen hörten ihm gebannt zu und klatschten dann begeistert Beifall. Heute ist der Saal leer. Nur der Geiger und ich und die Weite des Raumes um uns herum. Es ist fast schon so als ob diese Weite für die vielen Möglichkeiten steht, die meinem Gegenüber noch offen stehen. Wie wird er sich weiter entwickeln? Was wird er tatsächlich werden? Bleibt er seiner Geige treu und wird zum gefragten Superstar oder entscheidet er sich irgendwann anders, nimmt an einer Castingshow teil und wird zum glitzernden Pop-Sternchen? Vielleicht findet er irgendwann gar keinen Gefallen an seiner Musik, steigt aus und wird Buchhalter, Lehrer oder Bäcker? Möglichkeiten über Möglichkeiten tun sich auf. Ich gerate ins Schwärmen.
Der Blick auf mich selbst
Nur im Nachhinein, wenn ich auf mein eigene Leben zurück blicke, wird mir bewußt, wie sehr es auch anders hätte laufen können. In Augenblicken der Ehrlichkeit weiß ich, dass die Trennlinie zwischen Erfolg und Misserfolg ganz schmal ist. Und je älter ich werde, desto mehr weiß ich, dass sie immer und immer wieder neu definiert werden kann. Denn, was wir sind und wie unsere Welt ist, definieren wir zu einem entscheidenden Teil selbst. Und deshalb leben manche von uns so viel in so kurzer Zeit.
Uns werden die Möglichkeiten gegeben und wir machen etwas daraus. Und wenn wir die Möglichkeiten nicht haben, dann müssen wir sie uns eben schaffen. Das liegt in unserer Verantwortung. Untätigkeit ist in diesem Fall Kapitulation vor der Realität und einer Welt, die andere für uns definiert haben.
Was willst du mal werden?
Was willst du mal werden wenn du groß bist, wurde ich immer gefragt. Und so weit ich mich auch zurück erinnere, wusste ich nie so recht zu antworten. Ich wollte immer irgendwas mit Menschen zu tun haben. Mehr nicht. Dass ich irgendwann auch beruflich Menschen fotografieren würde ergab sich dann mit der Zeit. Und ob das die Endstation ist wage ich zu bezweifeln. Jedenfalls war mir schon immer klar, dass ich niemals Violine spielen würde. Dafür war ich dann doch nicht geschaffen.
Schön hingegen, dass Fabian Wu-Mittermayr Vergnügen daran findet. Ich würde ihn gerne nochmal in 10, 20, 30 Jahren treffen um zu sehen, wie es ihm geht und was er gerade so macht. Nun ist er jedenfalls Teil der #WORKINGPEOPLE Fotoserie.