Ein paar Tage nach unserem Treffen schickt er mir eine Nachricht. Eine in unserem Gespräch unbeantwortete Frage habe ihn beschäftigt. Ich wollte wissen, was aus ihm NICHT geworden ist, welches Angebot er denn ausgeschlagen hatte. Er meint, „Mit 23 hatte ich die Möglichkeit Wiens jüngster Museumsdirektor zu werden – auf Anfrage von Evelyne und Kurti Kalb. Hat mich damals aber nicht interessiert.“
Schade, denke ich mir, und sehe ihn in meiner Vorstellung, wie er durch eine halb aufgebaute Ausstellung eilt, einen Tross an Mitarbeitern und Kuratoren hinter sich, und er ruft ihnen zu: „Mehr Mut, meine Herrschaften! Mehr Mut!“
Ich sitze ihm zum ersten Mal gegenüber und bin erstmal überwältigt von seiner Erscheinung. Nicht nur, dass seine hagere Gestalt auch im Sitzen imposant wirkt. Der überdimensionale grüne Hut lässt einen daran glauben, dass sich vor einem ein Riese von mindestens 2 Meter 30 befinden muss.
Schneller Kaffee, wir müssen weiter zu unserer Fotoshooting-Location – der Champagnerbar „Dosage“. Passt ganz gut. Champagner ist sein Lieblingsgetränk.
Der lässig getragene Anzug, gänzlich aus isländischem Tarn/Camouflagestoff, will so gar nicht in die Welt der schnöden und hochnäsigen Wiener Innenstadt passen. Und so fällt der Herr, mit dem ich gerade unterwegs bin, auf wie ein bunter Hund. Er wird offen und versteckt von Passanten fotografiert und von Touristen und Wienern gleichermaßen verständnislos und bewundernd angestarrt, während er an ihnen vorbei spaziert. Bemüht unbeeindruckt. Ich glaube, es gefällt ihm. Ich hab ihn nicht gefragt.
Und ich bemühe mich ebenso unbeeindruckt zu wirken und trotzdem das Treiben um uns herum in seiner vollen Pracht wahrzunehmen, während ich der Frage nachgehe, was Bernhard Hofstetter denn eigentlich beruflich macht.
Wie viele Wege gibt es in einem Leben?
Rückblickend gesehen hätte es durchaus anders kommen können. Geboren in Dänemark zog er von zuhause fort um Musik zu studieren – so weit weg wie nur möglich, und das war dann Wien.
Ausgestattet mit einem ganzen Haufen an Zuversicht und so manches Mal gesunder Selbstüberschätzung gab er sich am Konservatorium die größte Mühe möglichst wenig zu tun um dann letztlich als bester seines Abschlussjahrgangs abzuschneiden und sich in der Folge einzugestehen, dass eine Profi-Musikerkarriere nicht seine Berufung sein kann. So manches irre Projekt während des Studiums und danach flog ihm zu und sprengte den Rahmen seiner damaligen Fähigkeiten, brachte ihn im Leben jedoch immer einen Schritt weiter. Oder zumindest so manche spannende Erfahrung mit sich.
Dass er heute in der Schweiz lebt und eine Seniorenresidenz im Stil eines englischen Jagdschlosses leitet ist wohl nur eine dieser Wendungen im Leben, die nicht vorherzusehen waren. Doch, mit dem offensichtlichsten, seiner Liebe für außergewöhnliche modische Auftritte hatte er beruflich nur beschränkt zu tun. Heute formuliert er es lapidar so: „Ich hatte schon super Angebote für Kollektionen, die ich kreieren sollte. Da sagte ich aber immer nein. Das ist mir zu stressig.“
Was will ich von meinem Leben?
Mein Gespräch mit Bernhard Hofstetter ist kurzweilig. Wir springen munter von einem Thema zum nächsten nur um irgendwann doch wieder am Ausgangspunkt zu landen, der in eine gänzlich andere Geschichte überleitet.
Das wird ihm auch so am meisten gerecht, denn was Bernhard Hofstetter auszuzeichnen scheint sind Anpassungsfähigkeit und Offenheit für Neues. Und diesen hat er es zu verdanken, dass es immer einen neuen Ausweg gab, sich immer eine neue Tür auftat, wenn eine andere zugefallen war. Wer weiß, vielleicht wäre er anderenfalls schlussendlich doch Priester geworden, wie er es mal vor hatte.
Heute versucht er betagten Menschen den Lebensabend zu verschönern. Auf den ersten Blick glaubt man ihm das nicht und muss sich erstmal erklären lassen, dass er das tatsächlich beruflich macht. Denn unsere oberflächliche Betrachtungsweise reduziert ihn auf sein Äußeres. („Die meisten fragen, ob ich nicht im Modebusiness tätig bin. NEIN. Ausser für mich selbst.“) Doch, je mehr er erzählt merkt man, wie gern er seinen Beruf hat.
Er ist jemand, der auf das Aussergewöhnliche steht und dies auch lebt. Ihn auf sein Äußeres zu reduzieren wäre da zu einfach, denn es trägt seines dazu bei, dass man sich fragt, wer denn eigentlich hinter diesem Auftritt steckt.
Irgendwann zwischendurch meinte er, dass es für ihn viel mutiger wäre mit Jeans und Hemd in der Gegend herumzulaufen als seinem Impuls zu folgen und sich für seine eher ungewöhnliche Kreationen zu entscheiden. Etwas beschämt denke ich auf meinen Aufzug an dem Tag zurück – schwarzes Hemd, dunkelgraue Hose, geschlossene Lederschuhe – und höre ihn mir im Nachhinein in meiner Vorstellung zurufen „Mehr Mut, mein Lieber! Mehr Mut!“. Und ich weiß, er meint mir nichts böses damit. Viel mehr deute ich es als eine Aufforderung, die Suche nach mir selbst fortzusetzen und dem Weg, der sich vor mir ausbreitet, das eine oder andere Mal beherzter nachzugehen… Wer weiß was da auf mich wartet.
Jeder Tag eine Party
Einige Tage nach unserem Gespräch stolperte ich auf Facebook über das Video eines Herren namens „Steve Edge“, der meinte, dass man sich jeden Tag herausputzen sollte, sich jeden Tag für eine Party anziehen sollte. Denn: wozu warten? Das Leben kann jederzeit zu Ende sein. Jeder Tag sollte deshalb eine Party sein.
In diesem Sinne war es mir ein Fest, Bernhard Hofstetter getroffen zu haben. Er ist nun Teil der #WORKINGPEOPLE Fotoserie.