Ihren persönlichen „moment of truth“ hatte Christina Nasr wohl bei einer Fortbildung für High-Potentials, den sie bei ihrem damaligen Arbeitgeber besucht hatte. Mit einem Schlag wurde ihr klar, dass sie diesen Job nicht ewig machen will – und das obwohl sie damit ganz glücklich war. Eine Nacht darüber geschlafen. Am nächsten Tag gekündigt. Den besten Freund angerufen und ihn vor die Wahl gestellt: den gemeinsamen Traum vom eigenen Lokal verwirklichen – jetzt oder nie.
Der Rest ließt sich wie ein kitschiger amerikanischer Traum, mit dem Unterschied, dass er sich in diesem Augenblick in good old Austria abspielt und mit Amerika nur so viel zu tun hat als Christina nach der Entscheidung, dass es tatsächlich ein gemeinsames Lokal geben soll, mit ihrem (mittlerweile) Geschäftspartner Andreas, Brooklyn besucht hatte um sich ausgiebig Inspiration zu holen.
Aber, fangen wir am Anfang an…
Christina Nasr & ALMA Gastrotheque
Mit einem Bekannten war ich verabredet in der ALMA Gastrotheque. Und da ich vor meinem Termin noch ein wenig arbeiten wollte tauchte ich gleich zum Beginn der nachmittäglichen Öffnungszeit in diesem schnuckeligen Lokal auf, wurde empfangen und setzte mich als einziger in das noch menschenleere Lokal und genoss meinen Espresso und die Stille. ALMA Gastrotheque kannte ich bis dahin nicht, die Mischung aus Geradlinigkeit und Verspieltheit gefiel mir jedoch auf Anhieb. Ein wenig Urlaub in einer der vielen, eher unauffälligen, Gassen Wiens.
Ich war ein wenig versunken in meinen Gedanken als ich aus der Küche von lautstarken Erklärungen unterbrochen wurde, wie denn der Fisch von der aktuellen Tageskarte korrekt zu beizen wäre. Die begeisternden Erklärungen kann ich mittlerweile nicht mehr reproduzieren. Ich weiß nur, dass ich dann ziemlich überrascht war als die Person vor mir stand, zu der die Stimme gehörte. Christina Nasr, geschätzte 1 Meter 60, wildes blondes Haar überall, große Augen und ein gewinnendes Lächeln. Ein zart wirkendes Energiebündel auf zwei Beinen, dem ich wohl jeden anderen Beruf angedichtet hätte als den, den sie gerade ausübte. Nämlich Köchin.
Zehn Sätze im persönlichen Gespräch später war sie bereit war sie bereit Teil meiner #WORKINGPEOPLE Fotoserie zu werden.
Was macht ein gutes Lokal aus?
Einige Wochen später traf ich Christina Nasr zum Fotoshooting. Der Weg führte uns vom Meidlinger Markt, auf dem sie jeden Tag einen Teil ihres Gemüses einkauft über Spezialitätengeschäfte in der Nähe des Nachmarkts bis zum Lokal in der Großen Neugasse. Laut eigener Definition kauft sie ausschließlich „echtes, ehrliches und ethisch einwandfreies von kulinarisch Gleichgesinnten. Lieblingsprodukte von Lieblingslieferanten.“ Ach, wie schön, dachte ich mir.
Bei Christina Nasr bekommt man Brote serviert, die ihresgleichen suchen. So steht es bei anderen geschrieben, die es besser verstehen vom Essen zu schreiben. Sogar wenn ich wollte könnte ich dazu nichts schreiben, denn ich kam nicht dazu eines dieser belegten Brote zu kosten. Vor lauter Reden über die besten Zutaten – unter anderem Brot – und Austausch über die schlechte Servicequalität so mancher Wiener Lokale und deren gastfreundlichen Gegenstücke (wie Roberto American Bar) entfloh uns die Zeit und wir mussten Schluss machen. Macht nichts, dann komme ich eben wieder, als Gast. Ist auch ja ein gutes Zeichen, wenn es um gute Lokale geht. 😉
Der Augenblick der Wahrheit und die Folgen
Rückblickend gesehen ist das wirklich bemerkenswerte an der Geschichte von Christina Nasr nicht einfach nur diese Idee, ein eigenes Lokal aufzumachen und den Mut zu haben es anders zu machen als andere. Es ist auch nicht die urplötzliche Kündigung – das haben schon ganz andere in gänzlich unüberlegten Situationen gemacht.
Viel mehr ist es der Glaube an sich selbst und das Vertrauen, dass es mehr zu entdecken gibt als das Leben bisher geboten hat und das Wissen, dass man es schaffen kann. Und dann ist da dieser Augenblick, wenn man sich traut dieses neue Leben anzugehen – ganz egal, wie es dann tatsächlich weitergeht. Es sollte mehr Christinas auf dieser Welt geben. Und mehr schmackhafte Brote.